N E U E S A U F V I N Y L
„Schwarzhörern" em pfiehlt STEREO
monatlich die besten Schallplatten
des „Schwarzmarktes"
Carole King
TAPESTRY
Epic/ORGM/Speakets Corner
2
LPs (
45
er),
erhältlich etwa bei vinylkatalog.de
Nanu, wurde hier mit Kanonen
auf einen Spatz geschossen? Der
Gedanke drängt sich angesichts
dieser 45er-Doppel-LP von Carole
Kings 1971 erschienenem Klassiker
auf. Zwar steht der musikalische
Wert des Werks, das großartige
Songs wie „So Far Away“, „Way
Over Yonder“ oder „You’ve Got A
Friend“ enthält, vier Grammys er-
hielt und vom Rolling Stone Magazin
auf Platz 36 der Liste der besten 500
Alben geführt wird, außer Zweifel,
doch um eine audiophile Kostbar-
keit handelt es sich wahrlich nicht.
Warum also setzte die eigentlich
für sicheren Klanginstinkt bekannte
Original Recordings Group Music
(ORGM) die Studio-Koryphäe Ber-
nie Grundman auf die alten Bänder
an, um sie auf vier schnelllaufende
Plattenseiten zu bannen?
Wohl um diese „Essential Editi-
on“ abzuliefern, die ein Sticker auf
dem Cover verspricht. Tatsächlich
versuchte das bekannte Maste-
ring-Ass gar nicht erst, „Tapestry“
künstlich aufzupolieren und ihm ei-
nen modernen Sound zu verpassen.
Gut so, denn die knödeligen Mitten,
der trockene, recht flache Bass so-
wie die opak abgetönten oberen
Lagen sind untrennbar mit dieser
M usik verbunden. Andererseits
konnte Grundman der Vorlage eine
Durchsichtigkeit und Beschwingt-
heit abgewinnen, die meinem an-
derwärts gefertigten 33er-Reissue
abgeht. Kurzum: So gut habe ich
Carol Kings unvergängliches State-
ment noch nicht gehört - der Funke
zündet wieder. Und genau darin
liegt der Wert dieser übrigens von
der Pallas in Diepholz gewohnt ma-
kellos in jeweils 180 Gramm Vinyl
gepressten Scheiben: Sie dürfen
den Status der gültigen Fassung
dieses Highlights der Pop-Historie
beanspruchen.
Matthias Böde
B illy Joel
52ND STREET
Columbia/MoFi
2
LPs (
45
er), sieveking-sound.de
360 Gramm plan gepresstes, jung-
fräuliches Vinyl hält in Händen, wer
sich für die neueste Version von
Billy Joels Jahrhundertwerk „52nd
Street“ entscheidet. War das wirk-
lich nötig, fragt man sich, schließ-
lich herrscht an mit dem Stempel
„audiophil“ versehenen Ausgaben
wahrlich kein Mangel. Doch bereits
wenn der Diamant in die sich mit 45
Umdrehungen pro Minute drehende
Einlaufrille eintaucht, weckt die tiefe
Ruhe Vorfreude auf das Kommen-
de. Über die Qualität der Musik zu
sprechen, scheint an dieser Stelle
überflüssig. Wer vor 1980 geboren
ist und eine Lücke im Plattenschrank
findet, sollte diese spätestens jetzt
schließen, allen Jüngeren sei dieses
Husarenstück nicht nur als Beispiel
für eine dynamische Produktion
der 70er Jahre wärmstens ans
Herz gelegt, sondern auch für die
Innovationskraft genreüberschrei-
tender Popmusik. Ein Klappcover
aus stabiler Pappe und antistatische
Hüllen gehören bei MoFi eh zum
guten Ton.
Michael Lang
Daniel Lanois
ACADIE
Diverse Records
2
LPs, vinylkatalog.de
Dass Musiker mit der Zeit ein be-
achtliches Talent als Produzenten
entwickeln, ist so selten nicht. Von
Brian Eno bis Todd Rundgren haben
da doch manche eine denkwürdige
zweite Karriere vorzuweisen. Um-
gekehrt sind höchst erfolgreiche
Produzenten (von George Martin
bis Ethan Johns), die sich auch als
Komponisten und Musiker profilie-
ren wollten, eher die Ausnahme.
Kritiker mögen Klangideen, die
der in der kanadischen Provinz
Quebec geborene Daniel Lanois sei-
nen berühmten Klienten andiente,
als fragwürdige Marotten belächelt
haben. Wenn aber U2, Peter Gabriel
oder Ron Sexsmith unter seiner An-
leitung so große Platten vorlegten,
wird derlei Kritik leicht lächerlich.
Ganz zu schweigen davon, dass Bob
Dylan unter seiner Regie Meister-
werke wie „Oh Mercy“ und „Time
Out of Mind“ vollbrachte. Der Titel
seines Solo-Debüts war auch eine
Reminiszenz an die Cajuns, die vom
im Nordosten des amerikanischen
Kontinents gelegenen Acadia nach
Louisiana emigrierten, sowie an
jene Neville Brothers, deren viel
gepriesenes Album „Yellow Moon“
er in demselben Jahr produzierte.
Die als Cajun Folklore, New Or-
leans R&B, Folk-Klassik und Psy-
chedelik-Exkursionen arrangierten
Songs sind allein schon ob ihres
meisterlichen Sound-Designs be-
wundernswert. Hall verwendete
Lanois beim ersten Solo-Projekt
auf ganz eigene Weise so genial
wie ein Phil Ramone bei seinen be-
rühmten Klienten. Nur bei „Amazing
Grace“ gerät ihm dies Design zu
einem Exzess an Manierismus.
Es klingt fast schon ein wenig ob-
szön, wie es Aaron Neville da in
einem selbstzweckhaft protzenden
Sound-Design nicht schafft, eine
religiöse Botschaft vorzutragen -
gerade im Vergleich zur a capella
von Judy Collins mit Chor jubilierend
verinnerlicht gesungenen Referenz-
aufnahme.
Die fabelhaft
überspielte
LP
bringt Grundtonwärme, Hall und
atmosphärischen Reiz der Produk-
tionen oft noch um einiges besser
‘rüber als seinerzeit die CD, die
leicht anämisch ausgezehrt klang
und nie remastered neu aufgelegt
worden war. Die Rechte sind wohl
schon 2005 an Lanois zurückge-
fallen, so dass er sie frei in Lizenz
vergeben konnte.
Auf LP klingt die Stimme bei Ca-
jun-Kabinettstücken wie „O Marie“
und „Jolie Louise“ jedenfalls un-
glaublich live-haftig im Mix. (Kein
Wunder, Lanois wollte sich ja auch
als Sänger aufnahmetechnisch
ins allerbeste Licht rücken, und
er wusste schließlich, wie man so
etwas anstellt.) Das Doppelalbum
kommt mit ganz neuem Cover,
allen Songtexten abgedruckt und
Session-Outtakes auf der zweiten
LP. Mitsamt der erstklassigen Press-
qualität ist das „meine“ Vinyl-Wie-
derveröffentlichung des Jahres.
Franz Schöler
Taj M ahal
TAJ MAHAL AND THE HULA BLUES
Tradition &
Moderne LP, dacapo-records.de
Wer den eher bluesigen Taj Mahal
schätzt, wird sich nicht ganz leicht
tun mit diesem Album, demons-
triert er doch a u f.
....And The Hula
Blues“ seine Verbundenheit mit der
Heimat Hawaii und der dortigen
Musikkultur.
Deshalb
benötigt
man mindestens einen zweiten
Hördurchgang, um nicht nur die
klangliche Sorgfalt der Aufnahme
und Pressung, sondern auch deren
musikalische Extravaganz zu würdi-
gen. Die Spielfreude, die sich dem
aufgeschlossenen Hörer eröffnet,
entschädigt für das Überraschende,
Fremdartige und Ungewohnte. Die
große Besetzung mit Mahal und
sieben weiteren Musikern ist gut
für ein Feuerwerk an Klangnuancen
und rhythmischer Vielschichtigkeit.
Die Produktion legt auch komplexe
Strukturen offen, die Platte im auf-
wändigen Klappcover ist sauber und
plan gepresst, Texte sind auch dabei,
lediglich an einer antistatischen
Kunststoffhülle hat man gespart. Ei-
ne Empfehlung für Weltmusikfreunde
und Neugierige.
Michael Lang
STEREO 1/2014 127
vorherige seite 126 Stereo 2014-01 lesen sie online nächste seite 128 Stereo 2014-01 lesen sie online Nach hause Text ein/aus